( commissione inclusa)
Tänzerin mit Schleier
PROVENIENZ: Gerhart und Marie Hauptmann, ab 1907.
Ausstellung: Von der Brücke zum Blauen Reiter, Farbe, Form und Ausdruck in der deutschen Kunst 1905-1914, Museum am Ostwall Dortmund, 15.9.-15.12.1996, S. 149 (mit Farbabb.).
LITERATUR: Christiane Lange, "Mueller vor Mueller" - Anmerkungen zu einem nahezu zerstörten Frühwerk, in: Otto Mueller, Eine Retrospektive, Hrsg. Joh. Georg Prinz von Hohenzollern/Mario-Andreas von Lüttichau, Ausst.Kat. Prestel Verlag, München 2003, S. 19.
In der "Tänzerin mit Schleier" wird ein kunsthistorisch bedeutendes Thema von Otto Mueller neu interpretiert: Biblische Themen, wie die von zwei alten Männern belauerte Bathseba im Bade oder die vor Herodes Antipas tanzende Salomé werden unter Mueller verbürgerlicht. Begehrlichkeit, voyeuristische Lust am nackten Körper ist der Grundtenor all dieser Gestaltungen, der von der Ambivalenz zweier Sichtweisen lebt. Da ist zum einen der beobachtende Mann in seiner Begierde und zum anderen die sich ihrer Attraktion bewusste, tanzende Frau.
Öl auf Leinwand , um 1903
Von Lüttichau/Pirsig 21. Links unten signiert. 120 x 90 cm ( 47,2 x 35,4 in).
Eckhart Hauptmann, 1914-1980.
Ingeborg Hauptmann, 1982.
Privatsammlung Süddeutschland.
Otto Mueller, Eine Retrospektive, Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München 21.3.-22.6.2003/Folkwang Museum Essen 4.7.-28.9. 2003, Farbtafel 10, S. 24.
Die tanzende Barbarina hatte bereits in Friedrich dem Großen, der sonst weiblichen Reizen eher abgeneigt war, ihren ergebenen Bewunderer gefunden. Ludwig I. von Bayern erlag der Verführung einer tanzenden Lola Montez und die Femmes fatales des Fin de Siècle haben auch alle ein wenig getanzt, um die nötige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kamen exotische Tänze in Mode, die neben der strengen Tanzklassik für geheime erotische Signale sorgen sollten. Die Schleiertänze der Loïe Fuller brachten Paris in Aufregung. Sie haben viele Künstler, wie Henri Toulouse-Lautrec und Raoul Larche zu wichtigen Werken inspiriert.
Zuvor hatte Degas sich in seinen Motiven anfangs der jugendlichen, fast mädchenhaften Tänzerin zugewandt und in der Folge den reifen, wissenden Frauen. Otto Mueller ist nicht ganz diesen Weg gegangen. Seine Frauen verharren in einem Zustand, der zwischen Unberührtheit und lockender Sinnenfreude oszilliert.
1903, etwa dem gleichen Jahr in dem unser Bild entstand, wurde in Berlin "Salomé" von Oskar Wilde in der Inzenierung von Max Reinhart mit Tilla Durieux in der Hauptrolle zu einem sensationellen Erfolg. In der gleichnamigen Oper von Richard Strauss nach dem Stück von Wilde, ist der Tanz der sieben Schleier, mit dem Salomé die Forderung nach dem Haupt des Johannes verknüpft, das entscheidende dramaturgische Element. Tilla Durieux war mit dem Maler Eugen Spiro verheiratet und sicher wird Otto Mueller von dem Erfolg gehört haben. So erklärt sich in seiner Interpretation der Schleiertänzerin auch die hier durchschimmernde naive Verderbtheit der Salomé, die mit der eines unbekümmerten In-Sich-Beharren der späteren badenden Mädchen konkurriert. Die Komposition des Gemäldes unterliegt noch ganz dem emphatischen Formenkanon des Jugendstils, der in schwingenden Linien ein Moment der Bewegung in der Fläche sah, auch die Vorzeichnung beruft sich auf diese Auffassung. Nur die delikate Farbigkeit weist bereits auf das spätere Schaffen des Künstlers. Das matte Grün wird in den Badebildern wiederkehren, doch den dunklen, alles bestimmen Strich in der Kontur sucht man hier vergebens. Otto Mueller hat in diesem Bild, das in seiner Grundkonzeption auf so viele Vorbilder zurückgreift, bereits die Ideale seines späteren malerischen Werkes angelegt. Das Hauptmotiv ist der sich frei entfaltende idealisierte weibliche Körper, hingegeben einer Stimmung, die sich im Einklang mit der Gesamtkomposition befindet. 1907 gelangt das Gemälde in den Besitz Gerhart Hauptmanns, dem Onkel des Künstlers, und seiner Frau Marie. Über das Verhältnis des Dichters zu seinem Neffen ist nur sehr wenig bekannt. Lediglich aus seinen Tagebuchaufzeichnungen geht hervor, dass Mueller ihn in Agnetendorf ab und zu besucht und von ihm zu Reisen in die Schweiz, nach Italien und Hiddensee eingeladen wird. Unklar bleibt, was in der Sammlung Gerhart und Marie Hauptmann existierte, nur wenige Kunstwerke sind nachweisbar, darunter eine Ölskizze mit der Darstellung des Dichters, ein Tanzpaar, vier Kohlezeichnungen und unsere Schleiertänzerin (Ausst.Kat. O.M Retrospektive, S. 28ff, Anm. 15/16). [KD]
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